Über Jungenarbeit im KJR

Die Jungenarbeit im Kreisjugendring Forchheim ist ein eigenständiger Arbeitsbereich und in ihrer Form eine Besonderheit in Bayern. Die Arbeit bezieht die sich ständig ändernden Lebensverhältnisse der Jungen mit ein, greift die verschiedenen Problemlagen auf, setzt bei den Ressourcen an und eröffnet Chancen, das Selbst-BEWUSST-Sein zu stärken. Sie wendet sich neben den "Jungen" auch an "Männer", Multiplikatorinnen und besonders Multiplikatoren, Betreuer, Lehrer etc., die diese Arbeit kennen lernen wollen und Unterstützung suchen. Jungenarbeit braucht (zumindest am Beginn des Prozesses der Auseinandersetzung mit sich und seiner Geschlechtszugehörigkeit, in den ersten Phasen der Gruppenbildung) geschlechtshomogene Jungengruppen. Jungen brauchen Zeiten und Orte für Begegnungen ohne Mädchen und Frauen. 

Das Erleben der Qualitäten rein männlichen Kontakts, der Selbstreflexion, Innenschau und einer Atmosphäre von Vertrauen und Gemeinschaft unter Jungen sind Grundlage für die geschlechtsspezifische (Präventions-)Arbeit mit Jungen. Jungen können hier die Erfahrung machen, mit Spaß die Offenheit und Intimität einer Jungengruppe zu erleben; sie sollen Raum, Gelegenheit, Freude und Ruhe haben, sich und ihre Beziehungen weiterzuentwickeln. Dies setzt voraus, unter sich zu sein; ansonsten würde es - bei Teilnahme von Mädchen - leicht zum Kontaktabbruch unter den Jungen kommen: Die "Antennen" würden ausgefahren (wie sehen die Mädchen mich, wie reagieren sie auf die anderen Jungen?), die Wahrnehmung wäre auf die Mädchen fixiert; evtl. würden die Beziehungen zwischen den Jungen in Konkurrenzverhalten umschlagen. Es gilt, die eigene Identität wahrzunehmen und sich der Gestaltung dieser bewusst zu werden. Hierbei ist ein geschlechtshomogener Rahmen notwendig. 

Aus diesen Gründen ist eine klare Strukturierung und verbindliche Vorgabe bzgl. des Gruppensettings erforderlich. Wünsche der Jungen nach gemischten Gruppen sollten an diesem Punkt (noch) nicht erfüllt werden. Einen eigenen, auf sich zentrierten, innenverbundenen Standpunkt und Wahrnehmungsprozess zu entwickeln, ist als Übungsfeld für Jungen elementar. Außerdem sollte die Bedeutung der Jungenclique nicht außer acht bleiben: Hier werden Mannwerdungsriten initiiert und inszeniert; gerade Jungengruppen können Beziehungsunfähigkeit relativieren und aufheben. Jungen dürfen spielerisch "Konkurrenz- und Wettbewerbs-Verhalten" ausleben und trotzdem innige Gemeinschaft erleben. 

Diese Faktoren sprechen deutlich für Bereithaltung von Raum und Zeit für Jungencliquen innerhalb der Jugendarbeit. Die gesellschaftliche Konstruktion von Männlichkeit im Rahmen der männlichen Sozialisation ist mitverantwortlich dafür, dass Jungen typisch "männliche Symptome" ausbilden, die sich in der Entgegensetzung zu angeblich typisch weiblichem Verhalten äußern. Jungenarbeit kann Jungen dahingehend unterstützen, mit ihnen gelingendere Lösungsversuche zur individuellen Erstellung männlicher Geschlechtsidentität zu erarbeiten. Der theoretische Hintergrund ist folgender: Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen den Kategorien "sex" und "gender". "Sex" bezeichnet das biologische Geschlecht (z.B. über die Unterscheidung körperlicher Geschlechtsmerkmale), "gender" das soziale Geschlecht, welches alleine durch gesellschaftliche Vermittlung von Geschlechtsrollenzuschreibungen konstituiert wird. Was also in einer Gesellschaft als typisch männlich bzw. weiblich gilt, ist kulturell und historisch relativ. 

Eine der Entwicklungsaufgaben von Jungen, gerade zur Zeit der Pubertät, ist der Aufbau einer männlichen Geschlechtsidentität. Der Männer Kodex zeigt den schmalen Grat solchen Verhaltens auf, das einem Jungen/Mann die soziale Anerkennung als "richtiger Mann" verspricht. Umgekehrt wird das Nicht-Zeigen des "männlichen" Verhaltens oder gar das Zeigen eines weiblich kodierten Verhaltens mit Sanktionen beantwortet. Folge: Die Erstellung einer von AUßEN bestimmten männlichen Identität zwingt zur Ausgrenzung von Ich-Anteilen, welche kulturell als weiblich definiert werden, Geschlechtsidentität wird teilweise lediglich simuliert (vgl. Böhnisch/Winter, 1997, S. 64) 

Unter dieser Perspektive können problembehaftete Verhaltensweisen wie Drogenkonsum oder Gewalttaten seitens männlicher Jugendlicher eben auch als erfolgreiche Versuche verstanden werden, männliche Identität für sich und vor anderen zu beweisen. Jungenarbeit kann hier ansetzen und gemeinsam mit den Jungen die Wirkung und die Macht des Männer-Kodexes reflektieren und in dessen starrer Geltung zurückweisen. Den Jungen kann in der Gruppenarbeit mit erwachsenen Männern versichert werden, dass sie trotzdem männlich bleiben, auch wenn sie den Männer-Kodex "verletzen". 

Diese soziale Konstruktion von "Männlichkeit" und die daraus resultierende Sozialisation von Jungen führen zu typisch männlichen Folgeproblemen. Jungen führen Statistiken zu Todes- und Krankheitsrisiken ebenso an wie Statistiken in punkto Kriminalität, Drogenkonsum und Gewalttaten. Vor diesem Hintergrund soll bei der Jungenarbeit im Kreisjugendring den Jungen in einer Grundhaltung der Parteilichkeit begegnet werden. Weg von der Sichtweise "Jungen machen Probleme" hin zu "Jungen haben Probleme" und "Jungen haben Chancen als auch Ressourcen". Jungenarbeit ist deshalb in jedem Fall parteiisch, weil sie Jungen mit (durchaus auch kritischer) Empathie begleitet, jungenorientiert reflektierend, um sich der Konstruktion der männlichen Rolle bewusst zu werden, emanzipatorisch, weil sie Jungen hilft, sich aus dem Panzer und dem Druck der starren Bilder von Männlichkeit zu befreien und ganzheitlich, weil sie die gesamte Person im Blick hat und alle Aspekte von Männlichkeit wahrnimmt. 

1. Konstruktion
Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit als solche benennen 

2. Rekonstruktion
Geschlechter-Rollen-Unterscheidungen rekonstruieren statt Geschlechter-Rollen-Unterschiede anzunehmen 

3. Dekonstruktion
Das Genderkorsett aufbrechen!
Gender dekonstruieren und damit Spielräume für vielfältige geschlechtliche Existenz- und Lebensweisen eröffnen.
(Text vgl. Switchboard, 18.Jg., Nr. 177)